Cross-Funktionale Teams – Mythen und Wahrheiten

Ein Beitrag von

// Erschienen am

Gruppe von Menschen

Nicht erst seit Scrum und dem Hype um Agile“ sind cross-funktionale Teams kein Geheimtipp mehr. Mittlerweile hat es sich vielerorts durchgesetzt, dass interdisziplinärzu arbeiten insbesondere bei komplexen Problemstellungen viele Vorteile bietet. Nur sind die meisten Unternehmen – ich nenne sie Alpha-Unternehmen – so nicht strukturiert. Mit dem Aufkommen des Taylorismus vor über 100 Jahren ist die funktionale Trennung in Unternehmen zum Mainstream geworden. Spezialistenteams sind in voneinander nach Fachgebiet getrennten Abteilungen angeordnet.

Dies bot zunächst auch viele Vorteile, denn so konnten Anfang des letzten Jahrhunderts Unternehmen effizient große Zahlen ihrer Produkte in Standardprozessen herstellen. Sie lernten, die immer wiederkehrenden Abläufe in Prozesse zu gießen und Arbeit in kleinere Aufgaben zu teilen, die dann durch die jeweiligen Spezialist*innen in den Abteilungen routiniert abgearbeitet werden können. Das funktioniert in stabilen, planbaren Märkten sehr gut. Solange sich die Marktanforderungen und damit die Aufgaben kaum ändern, können die Probleme stets mit dem vorgefertigten Prozess gelöst werden. Noch immer versuchen sehr viele Unternehmen heutzutage mit dem, was man als Management bezeichnen kann, ihre Wertschöpfung zu steuern.

Marktdynamik

Die Erfordernisse an den Märkten haben sich allerdings stark gewandelt und sie ändern sich weiter. Durch die fortschreitende Globalisierung und die Veränderungen in unserer Gesellschaft leben wir in hochdynamischen Zeiten. Unternehmen müssen heute schneller und kreativer denn je auf Marktbedürfnisse reagieren können. Dazu sind sie kaum in der Lage, wenn zunächst jedes Problem analysiert wird, um anschließend neue Prozesse zu implementieren, die dann die Lösung bringen sollen. So „rennen“ Unternehmen den Marktbedürfnissen stets hinterher. Unternehmen müssen heute innovativ und reaktionsschnell sein, um sich wirtschaftlich erfolgreich am Markt zu behaupten.

In cross-funktionalen Teams arbeiten Spezialist*innen verschiedener Fachdisziplinen daran, Kundenwert zu schaffen, anstatt nur Aufgaben abzuarbeiten. Innovation und Krativität werden in cross-funktionalen Teams dadurch begünstigt, dass dort Menschen mit verschiedensten Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen eng zusammenarbeiten und gemeinsam Probleme lösen. Der Blick aus unterschiedlichen Perspektiven auf die gemeinsame Problemstellung, ohne dabei an fixe Prozesse gebunden zu sein, schafft den Raum für kreative, innovative Lösungsansätze.

Die Erledingung der Arbeit ändert sich also mitr dem veränderten Teamschnitt. Die Interaktionen miteinander gewinnen mit steigender sozialer Dichte an Qualität. In der Folge lösen cross-funktionale Teams nämlich vollständige Problemstellungen, anstatt nur Teilaufgaben zu sehen zu bekommen. Das erhöht die Lösungskompetenzen und sorgt in der Regel auch dafür, dass einzelne mehr Verantwortung übernehmen. So kann zum Beispiel schnell erkannt werden, ob einmal eine Ausnahmesituation – was heutzutage eher Norm als Ausnahme ist – entsteht, die mit Standarprozessen nicht zu lösen ist.

Selbstorganisation und Marktsteuerung

Das funktioniert allerdings nur, wenn cross-funktionale Teams konsequent selbstorganisiert arbeiten. Denn nur dann kann offene Kommunikation stattfinden. Die eigenen Prozesse können umgehend auf neue Bedürfnisse angepasst werden. Ideen können frei geäußert und diskutiert werden, ohne dass formalhierarchische Rollen- und Machtansprüche störend wirken können. Ein „Hineinsteuern“ von außen ist weder nötig noch hilfreich, denn die Lösungskompetenzen liegen voll und ganz im Team. Das bedeutet jedoch keineswegs Anarchie oder Führungslosigkeit.

Im Gegenteil. Es liegt in der Natur des Menschen, „Geist auf Arbeit anzuwenden“, wie es der großartige Götz Werner in einem seiner Vorträge zum Bedingungslosen Grundeinkommen einmal formuliert hat. Ich will damit sagen, dass Teams natürlich nach effizienter und effektiver Erledingung ihrer Arbeit streben, wenn sie in konsequenter, durch den Markt gesteuerter Selbstorganisation arbeiten können. Richtig: Es geht um Marktsteuerung, im Gegensatz zu der tayloristischen Idee der zentralisierten Steuerung des Unternehmens aus dem Inneren heraus. Ein vollständiger Paradigmenwechsel. Lesen Sie dazu gerne meinen Artikel: Product-Market-Fit durch Dezentralisierung.

Aber zurück zum Team: Oft höre ich den Einwand, dass ein cross-funktionales Team ja aus Generalisten bestehen müsste, und dass diese dann „alles ein bisschen, aber nichts richtig“ könnten. Oder dass dann die „Qualität auf der Strecke“ bliebe. Oder auch, dass die Aufgaben so speziell seien, dass diese nur von Spezialisten bearbeitet werden könnten, und dass das mit Generalisten nicht ginge.

Alleskönner

Die Wahrheit ist, dass es im Grunde keine Generalisten gibt. Das Narrativ „Generalist“ übersimplifiziert die komplexe menschliche Natur. Im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn entwickeln sich Menschen meistens zu Spezialist*innen in mehreren Disziplinen. Sie bilden in verschiedenen Bereichen fundierte Fähigkeiten aus, nicht nur über ihren Beruf, sondern durch Hobbys und eigene Interessen. Es ist vollkommen normal für Menschen, dass sie verschiedenste Dinge sehr gut können und sich diesen auch mit Leidenschaft widmen wollen.

Leider verhindern Alpha-Organisationen durch zu starke funktionale Trennung und den Glauben an das „Spezialistentum“, dass die mehrfachen Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden zum Tragen kommen können. So bleibt erhebliches Potenzial ungenutzt und führt auch nicht selten zu Frust und innerer Kündigung. Aus den engagierten Mitarbeitenden, die jedes Unternehmen will und braucht, werden so gelangweilte Menschen, die nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Nichts selten suchen sich die Menschen dann Betätigungsfelder außerhalb ihres Berufs, in die sie ihre Energie stecken. Es sind genau diese Mehrfach-Spezialist*innen, die sie brauchen und von denen die Welt voll ist. Sie lechzen geradezu nach Verhältnissen, in denen sie ihre vielfachen Fähigkeiten zum Einsatz bringen können.

Cross-funktionale Teams bieten diese Verhältnisse. In cross-funktionalen Teams ergänzen sich verschiedene Fähigkeiten ihrer Mitglieder, sodass das Team als Ganzes alle Fähigkeiten für die Lösung der anstehenden Aufgaben besitzt. Die wichtigste Eigenschaft eines Teams ist es ja gerade, dass man sich gegenseitig zur Problemlösung braucht. Wäre das nicht der Fall, wäre es nur eine Gruppe von Menschen, die nebeneinanderher arbeitet. Wenn in einem Team gemeinsam vollständige Probleme gelöst werden können, ist das die beste Voraussetzung, dass alle ihre Fähigkeiten einbringen wollen und können.

Für Unternehmen bedeutet das, dass sie sich einerseits keine Sorgen machen müssen, dass Ihre Mitarbeitenden zu Generalisten „verkommen“ – im Gegenteil: Nur in cross-funktionalen, selbstorganisierten Teams bestehen die besten Chancen, dass Mitarbeitende ihre vielfältigen Fähigkeiten gewinnbringend einsetzen und ausbauen können. Andererseits sind auch keine Qualitätsprobleme zu erwarten, denn wie Studien [1] zeigen, sinkt in stabilen, gut eingespielten Teams sogar die Fehlerrate.

Genau genommen wird in allen Unternehmen ohnehin cross-funktional gearbeitet. Denn echte Arbeit – also das Schaffen von Kundenwert – findet immer im Team über mehrer Disziplinen hinweg statt. Ob man das nun will oder nicht. So etwas wie Einzelleistung gibt es nicht. Leistung entsteht immer im Team. Das passiert in Alpha-Unternehmen auch, denn die Leistungsanteile aus verschiedenen Abteilungen werden schlussendlich ja zusammengefügt und ergeben Produkte oder Leistungen, für die Kunden Geld bezahlen. Nur wird Teamarbeit in Alpha-Unternehmen durch ihre Struktur eben deutlich erschwert – zu verhindern ist sie kaum.

Profilneurosen

Leistungsfähige Teams zusammenzustellen ist trotzdem keine triviale Angelegenheit. Die Rahmenbedingungen, von denen ich oben nur einige erwähnte, müssen passen. Insbesondere eine Transformation von funktionaler Trennung zu funktional integrierten Strukturen muss gut vorbereitet und begleitet werden. Wie bereits beschrieben, ändert sich nämlich auch die Art und Weise, wie die Arbeit verrichtet wird. Unbedingt müssen hier alle Beteiligten eingezogen werden, denn nur diejenigen, die in den Teams arbeiten, wissen auch am Besten, wie die Arbeit effizient und effektiv zu verrichten ist.

Oft ist in letzter Zeit von genannten „T-Shaped“ und „M-Shaped“ Profiles die Rede. Damit sollen Mitarbeitende beschrieben werden, die in mindestes einer Disziplin sehr ausgeprägte Fähigkeiten haben und einige andere Dinge auch noch so gut können, dass sie mit anderen gut cross-funktional arbeiten können. Lassen Sie sich von derartigen Buzzwords nicht verwirren, denn sie werden dem komplexen Wesen Mensch nicht gerecht. Sie sind unterkomplex und vereinfachen auf fehlerhafte Weise. Mensch sind sehr viel mehr als nur ein „Profil“.

Auf den Kontext kommt es an! Trauen Sie ihren Mitarbeitenden mehr zu, als Sie vielleicht bisher sehen konnten. Dazu braucht es eine Umgebung, in der mit Spaß und Könnerschaft gemeinsam geleistet werden kann, ohne dass Machtspiele und überbürokratisierte Prozesse die Wertschöpfung stören können. Verhältnisse schaffen Verhalten. Sie werden möglicherweise erstaunt sein, wenn Sie eine Umgebung schaffen, in der Teamleistung der Normalfall ist und in der der Markt die handlungsleitenden Informationen liefert.

Alles was Sie brauchen haben Sie. Und mit der passenden Begleitung, werden Sie die richtige Teamzusammensetzung finden. Zwar hörte ich des öfteren die Aussage, „mit meinen Leuten geht das nicht“, aber das sagt mehr über diejenigen aus, die solche Aussagen machen, als über die Mitarbeitenden. Es liegt in der Natur des Menschen, gemeinsam mit anderen im Team zu leisten. Im empfehle dazu das Buch „Im Grunde gut“ von Rutger Bregmann [2]. Natürlich kann es vorkommen, dass es einmal mit einem Team nicht funktioniert. Das es einfach nicht passt. Das merkt man aber recht schnell und wenn im Prozess die Richtigen einbezogen werden, ist die Chance, dass das passiert, nahe Null.

Auf den Schnitt kommt es an

Wenn Teams aber nicht mehr nach funktionaler Trennung organisiert werden, wie werden dann die Teamgrenzen gezogen? Einserseits sollten Teams möglichst aus eigener Kraft Kundenwert erzeugen können. Gleichzeitig sollten sie aber nicht zu groß werden und selten reicht in größeren Unternehmen genau ein Team aus, um eine vollständige Kundenleistung zu erzeugen. In manchen Bereichen des Unternehmens machen Spezialistenteams vielleicht auch mehr Sinn als in anderen. Wie kann man also cross-funktionales arbeiten in Teams skalieren?

cross-funktionale Teams in der Darstellung der Wertschöpfungsstruktur
Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie im Unternehmen beim Design der Teamstruktur mit cross-funktionalen Teams

Es genügt also nicht, einfach alles durcheinander zu würfeln. Lösen Sie sich als erstes vom Bild des Unternehmens als Pyramide. Nehmen Sie die Wertschöpfungsstruktur in den Blick. Unterscheiden Sie zwischen Zentrum und Peripherie, anstatt zwischen Oben und Unten. Teamschnitte ergeben sich dann fast automatisch aus den Markerfordernissen. Cross-funktional zu arbeiten wird dann zwangsläufig und nicht optional.

Lassen sie Marktsteuerung zu und legen Sie gemeinsame Arbeitsprinzipien zugrunde. Haben Sie stets betriebswirtschaftliche Aspekte im Blick und vermeiden sie zu starke lokale Optimierung zum Preis von globaler Optimierung. Geben Sie Könnermacht den Vorrang vor Positionsmacht. Zum Einstieg lohnt es sich, sich mit den Themen Wertstromanalyse und Zellstrukturdesign [3] zu beschäftigen. Ich stehe Ihnen natürlich gerne mit Rat und Tat zur Seite. Sprechen Sie mich gerne an!

Referenzen

  1. „Leading Teams – Setting the Stage for Great Performances“, J. Richard Hackman, Harvard Business Review Press 2002, ISBN: 978-1-57851-333-8.
  2. „Im Grunde gut – Eine neue Geschichte der Menschheit“ – Rutger Bregmann, Rowohlt Taschenbuch 2021, ISBN: 978-3-499-00416-2.
  3. „Zellstrukturdesign“, Niels Pfläging & Silke Hermann. Verlag Franz Vahlen, 2. Auflage – ergänzt und erweitert, 2023, ISBN: 978-3-8006-7222-6.

Dieser Artikel ist initial am 29. Juli 2016 erschienen und wurde am 3.01.2024 überarbeitet.