Dezentralisierung bringt Product-Market-Fit

Illustration des Pfirsichmodells nach G. Wohland

Nur konsequente Dezentralisierung von Information und Entscheidungen schaffen Kunden- und Marktorientierung. Das hat nichts mit Mindset oder Haltung einzelner zu tun.

Klassische, tayloristische Unternehmen zentralisieren Information und Entscheidungen, denn „Ober sticht Unter“ und typischerweise werden tragende Entscheidungen nur an wenigen Stellen „weiter oben“ in der Hierarchie getroffen. Informationen werden nur gesteuert und dosiert in der Hierarchie nach unten verteilt, was dazu führt, dass man dort meist keine vollständige Informationen besitzt, um gut informierte Entscheidungen treffen zu können. Das triggert wiederum oft den Reflex zur Rückdelegation. Handlungsleitende Informationen werden so fast ausschließlich aus dem Inneren des Unternehmens, durch die Vorgesetzten bezogen. Von Markt- oder Kundenorientierung keine Spur.

Um strikte Marktorientierung zu erreichen gilt es, Information und Entscheidungen im Unternehmen zu dezentralisieren. Das wird schnell klar, wenn man einmal den Blick auf die Organisation jenseits der Formalhierarchie lenkt. Das sogenannte Pfirsichmodell, welches auf Gerhard Wohland [1] zurückgeht, eröffnet die Sicht auf die Wertschöpfungsstrukturen im Unternehmen. Nicht das Organigramm steht im Vordergrund, sondern die Menschen und Teams, die gemeinsam Werte für Kunden erzeugen.

Nicht Abteilungszugehörigkeit, wer wessen Vorgesetzte*r ist, oder wer welche Position inne hat zählen, sondern einzig und allein, wer mit wem leistet, und wie Kundenmehrwert zu schaffen. Blickt man durch diese „Brille“ auf Unternehmen, zeigt sich, wie Leistungen und Werte für Kunden im Unternehmen entstehen und nach außen in die Märkte gelangen.

In diesem Bild grenzt die „Haut“ des Pfirsich das Unternehmen zum Außen – also den Märkten, in denen es agiert – ab. Hier besteht der Marktkontakt, der es Unternehmen überhaupt erlaubt, Kunden- und Marktbedürfnisse wahrzunehmen. Im Innern wird zwischen Peripherie und Zentrum unterschieden.

Teams in Peripherie und Zentrum

In der Peripherie sind alle Teams aktiv, die engen Marktkontakt haben, also direkt am Kunden arbeiten und sehr viel Wissen und Erfahrung aus dem Markt ziehen können. Mit Teams sind hier diejenigen Personen gemeint, die gemeinsam arbeiten, um Werte für Kunden zu erzeugen. Das Organigramm spielt keine Rolle. Auch wenn Personen in verschiedenen Abteilungen oder Bereichen disziplinarisch zugeordnet sein mögen. Es geht hier nur darum, wer mit wem gemeinsam Leistungen erbringt.

Im Zentrum sind Teams aktiv, die nicht direkt am Markt agieren. Ihre Arbeit ist aber für die Existenz des Unternehmens gleichermaßen wichtig. Zentrum-Teams unterstützen die Peripherie-Teams, liefern zu können. Sie übernehmen zum Beispiel notwendige administrative Aufgaben.

Im Wertschöpfungsgefüge entsteht Führung durch gemeinsames miteinander und füreinander Leisten. Hier zählen Könnerschaft, Exzellenz und Kooperation anstatt Position. Formalhierarchische Rollen und disziplinarische Mitarbeitenden-Chef*innen-Beziehungen sind für die Wertschöpfung irrelevant, ja, sogar störend. Eine Erkenntnis, die in vielen Unternehmen leider noch keinen Einzug gehalten hat.

Verstehe Deine Organisation

Ich will hier nicht für die „Abschaffung von Hierarchien“ werben, das wäre quatsch (und Stoff für einen anderen Artikel). Mir geht es um eine differenzierte Sicht auf Unternehmen und die verschiedenen Wirkmächte, die Wertschöpfung mehr oder weniger begünstigen können. Darüber ist natürlich noch viel mehr zu schreiben, als in diesen Blogartikel passt. Äußerst lesenswert zum Thema sind zum Beispiel Artikel zu „Organisationsphysik“ [2,3] aus dem BetaCodex.

Ich möchte hier einen besonderen Blick darauf lenken, wie und wo im Unternehmen Entscheidungen stattfinden, und wo bzw. wie Führung und Steuerung im Wertschöpfungsprozess erfolgen. Bei Weitem die meisten Unternehmen agieren immer noch nach dem Paradigma der zentralen Steuerung. Man sieht nur die Formalstruktur und versucht, darüber Wertschöpfung zu steuern. Unter zunehmender Dynamik an den Märkten versagt dies jedoch. Sie ist zu träge und führt oft zu unpassenden Maßnahmen, um Schwierigkeiten in der Wertschöpfung zu begegnen.

Die Reize des Marktes wirken vorwiegend auf die Peripherie des Unternehmens ein. Hier werden alle Entwicklungen buchstäblich hautnah wahrgenommen. Der Versuch, aus dem Zentrum heraus nun die „richtigen“ Steuerungsimpulse zu setzen, erfordert zunächst, dass Wissen aus der Peripherie ins Zentrum zu transportieren. Das geht kaum ohne Verluste und benötigt nicht selten viel Zeit. Das Unternehmenszentrum muss dann passende Maßnahmen entwickeln und als Arbeitsanweisungen wieder in die Peripherie zurück kommunizieren. Das braucht erneut Zeit und geht wiederum kaum ohne Informationsverluste.

Salopp ausgedrückt treffen dann Menschen ohne geeignete Erfahrung Entscheidungen für Probleme anderer, die noch dazu viel näher am Problem dran sind. Indem dann andere mit mehr Erfahrung angewiesen werden, wie diese Probleme zu lösen seien., entstehen oft Frust und Kopfschütteln. Dies geschieht auch noch mit so viel Verzögerung, dass die Probleme selten wirklich gelöst werden, sondern nur vertagt, verlagert oder symptombehandelt werden.

Dezentralisierung

Die bessere Alternative ist konsequente Dezentralisierung von Information und Entscheidung. Handlungsleitend sind dann die Impulse und Erfahrungen, die in der Peripherie an den Märkten gemacht werden. Um schnell und adäquat auf die Entwicklungen reagieren zu können, werden passende Entscheidungen in der Peripherie getroffen und direkt umgesetzt. So verdrängt Führung auf Basis von Könnerschaft die träge Steuerung auf Basis disziplinarischer Positionsmacht. Und so können Produkte und Dienstleistungen in Maximalgeschwindigkeit entstehen, die zu Kundenproblemen passende Lösungen darstellen.

Dezentralisierung bewirkt Steuerung durch Markterfordernisse anstatt zentralisierter Steuerung.

Dezentrale Führung entlang gemeinsamer Prinzipien macht reaktionsfähig und führt dazu, dass Entscheidungen auch dort getroffen werden, wo die maximale Erfahrung zum Problem existiert. Voraussetzung ist allerdings, dass im Unternehmen auch maximale Transparenz zu wirtschaftlichen und strategischen Rahmenbedingungen herrscht. Systembedingt wird in einem tayloristischen Unternehmen im Management ein Wissensvorsprung gegenüber dem Rest der Organisation erzeugt. Unter solch intransparenten Umständen kann man von Mitarbeitenden kaum erwarten, kluge Entscheidungen zu treffen.

Ablenkungsmanöver

Mehr noch, tradierte Unternehmensmodelle lenken ihre Mitarbeitenden förmlich davon ab, Kundenprobleme zu lösen, indem sie persönliche Zielvereinbarungen, KPIs, Anreiz- und Bonussysteme und dergleichen implementieren. Dies sind dann interne Referenzen, die handlungsleitend werden, während eigentlich externe Marktimpulse die bestimmenden Informationen sein sollten. Das erzeugt Ballast, der zu mehr Beschäftigung führt. Beschäftigung mit sich selbst anstatt Arbeit an Lösungen für Kunden, wie guten Produkten und Services.

Je dezentraler und ballastfreier ein Unternehmen an den Märkten agiert, desto mehr Marktkontakt wird geschaffen. Desto reaktionsfähiger ist die Organisation gegenüber dynamischen Märkten. Unternehmen, die das nicht berücksichtigen, geraten zunehmend unter Stress. Meist existieren diese nur noch, anstatt sich durch Innovationen zu entfalten. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis solche Unternehmen unter dem Stress kollabieren.

Referenzen

  1. Gerhard Wohland, Matthias Wiemeyer, „Denkwerkzeuge der Höchstleister“, UniBuch Verlag, Oktober 2012, ISBN-13: 9783934900110.
  2. Peter Pröll, „Einführung in den BetaCodex (Teil 3): Organisationsphysik – die drei Organisationsstrukturen“.
  3. Peter Pröll, „Einführung in den BetaCodex (Teil 4): Zellstrukturdesign – Aufbau der Wertschöpfungsstruktur“.

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