Digitaler Wandel, agile Transformation, Kulturwandel, … nennen Sie es, wie Sie möchten. Zuweilen werden diese Begriffe höchst inflationär verwendet, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass sich aktuell viele Unternehmen verschiedener Größen damit beschäftigen.
Ich bin sicher, würde man Vertreter all dieser Unternehmen fragen ob der Wandel denn gut voran kommt, ergäbe sich ein Bild, das in etwa aussagt: „Langsam“, „zäh“, „schwierig“, „schwerfällig“ oder gar „chaotisch“. Machen diese Unternehmen etwas falsch?
Nun, ich weiß es nicht. Möglicherweise, aber das spielt für das was ich in diesem Blog-Artikel beschreiben möchte eine untergeordnete Rolle. Ich bin der Überzeugung, dass jeder aktiv herbeigeführte Wandel eines Unternehmens eine Herausforderung ist und somit entsprechend Vorbereitung und viel Energie braucht. Warum das so ist, kann man durch einen Ausflug in die Systemtheorie erklären. Das will ich nachfolgend einmal versuchen.
Komplex vs. Kompliziert
Die Systemtheorie ganz allgemein ist eine Betrachtungsweise, die versucht, die Phänomene in Systemen aller Art mit Hilfe grundlegender Aspekte und Prinzipien zu erklären. Man kann grob zwischen vorhersagbaren (deterministischen) Systemen und nicht-vorhersagbaren Systemen unterscheiden. Technische Systeme, wie z.B. Computernetzwerke oder auch Uhrwerke, sind trotz ihres teils sehr komplizierten Aufbaus in der Regel vorhersagbar. Das bedeutet, dass man das Verhalten des Gesamtsystems stets vorhersagen kann, wenn man sich nur die Mühe macht, jedes in ihm wirkende Einzelteil hinreichend genau zu beschreiben. Man spricht hier von komplizierten Systemen.
Sobald Menschen ins Spiel kommen, verliert ein System in der Regel an Vorhersagbarkeit. Familie, Freundeskreis, Sportverein oder auch Wirtschaftsunternehmen sind solche Systeme. Wir sprechen hier von komplexen Systemen weil sich das Verhalten jedes in ihm wirkenden „Teilchens“ und deren Wirkzusammenhänge nicht mehr exakt vorhersagen lassen. Somit lässt sich auch das Verhalten des Gesamtsystems nicht mehr vorhersagen. Jedes Unternehmen, in dem Menschen arbeiten, ist also ein komplexes System. Verstärkend kommt hinzu, dass die Märkte, in denen sich nahezu alle Unternehmen heute bewegen, ebenfalls komplex sind. Die Unternehmen haben es also auch mit komplexen Problemstellungen zu tun.
Die Komplexität sozialer Systeme wie Wirtschaftsunternehmen, verleiht ihnen andererseits die hervorragende Eigenschaft der Innovationsfähigkeit. Deterministische, also zu 100% vorhersagbare Systeme, können keine Innovation aus eigener Kraft entwickeln. Unternehmen brauchen heutzutage jedoch Innovationskraft um für neue, komplexe Problemstellungen Lösungen entwickeln zu können. Diese wichtige Eigenschaft ist es, die moderne Unternehmen heutzutage in den immer schnelllebiger werdenden, komplexen Märkten erfolgreich sein lässt. Komplexität ist hier also kein Nachteil, sondern eine Eigenschaft, deren Potenzial es zu nutzen gilt.
Problematisch kann es dann werden, wenn ein komplexes System wie ein vorhersagbares System behandelt wird. Hier fehlt dann die Passung der angewendeten Methoden zu den Problemen. Häufig ist dies heutzutage zu beobachen in Unternehmen, in denen durch kennzahlengetriebene Steuerung, Kontrolle und Prozessgläubigkeit jegliche Innovationskraft im Keim erstickt wird.
Unternehmenskultur
Um besser zu verstehen, was denn ein soziales System ausmacht, wie es wirkt, und wie man darin erfolgreich agieren kann, hilft ein Blick auf die Systemtheorie für soziale Systeme nach Niklas Luhmann. Um den Rahmen nicht zu sprengen, behelfe ich mir hier allerdings einiger, starker Vereinfachungen.
Demnach wird ein soziales System weniger von den einzelnen Individuen definiert, sondern von ihren Interaktionen und ihrer Kommunikation im System. Die Individuen bilden die Voraussetzung, dass ein soziales System entstehen kann. Im sozialen System bildet sich eine Art und Weise miteinander umzugehen und Dinge zu tun heraus, die letztlich das System ausmachen. Es gibt sozusagen einen systemspezifischen Code, nach dem gehandelt und kommuniziert wird. Oder anders gesagt: Es herrscht eine bestimmte Kultur, die berühmte Unternehmenskultur. Sie ist im Übrigen nicht direkt beeinflussbar sondern die Folge aller Kommunikation im Unternehmen. Es ist daher blanker Unsinn, Veränderungen aktiv über sogenannten Kulturwandel herbeiführen zu wollen.
Die Grenzen eines sozialen Systems werden nun dadurch definiert, dass die Individuen im Inneren den systemspezifischen Code kennen und beherzigen. Sie machen sich dadurch als Systemzugehörige erkennbar während außenstehende den Code nicht beherrschen. Einfach gesagt bedeutet das: Man versteht sich innerhalb des Systems. Die meisten Dinge, die zu tun sind, müssen nicht immer wieder neu und vollständig besprochen werden. Es gibt sogenannte ungeschriebene „Gesetze“, die jeder kennt und befolgt. Neue Kolleginnen und Kollegen werden diese auch rasch kennenlernen und befolgen, ohne dass man es ihnen aktiv mitteilen muss.
Das Immunsystem
Das ist so weil Menschen ihre Handlungsweise tendenziell an ihre Umgebung anpassen. Würde jemand in einem sozialen System plötzlich die ungeschriebenen Gesetze verletzen, würde er oder sie schnell zu spüren bekommen, dass etwas „falsch“ läuft. Die Systemtheorie spricht hier von nicht-anschlussfähiger Kommunikation. Schafft man es nicht, anschlussfähige Kommunikation herzustellen (also die ungeschriebenen Gesetze zu befolgen), kann das letztlich dazu führen, dass das Individuum aus dem sozialen System ausgestoßen wird. Kein seltener Fall.
Man kann auch sagen, das Unternehmen reagiert wie ein Organismus mit einer Art Immunsystem auf das unbekannte Verhalten und versucht, es abzutöten und den Fremdkörper auszustoßen.
Die Schlussfolgerung daraus ist – übereinstimmend mit meiner Beobachtung in vielen Unternehmen aller Größenordnungen – dass die Art und Weise Dinge zu tun im Unternehmen tendenziell gleich bleibt, auch wenn man einzelne Individuen austauscht. Vereinfacht könnte man sagen, das System hat ein Art Gedächtnis. Das Gedächtnis des Unternehmens sorgt also dafür, dass die Kommunikation, das Handeln, und letztlich die Kultur möglichst stabil bleiben. Es „erinnert“ auch neue Individuen sozusagen stets daran, wie Dinge getan werden.
Das Immunsystem ist der Grund, der den unternehmerischen Wandel schwer macht. Die meisten von uns kennen das Phänomen sicher. Warum ist es so schwer, Dinge einfach einmal anders zu machen? „Anders geht es doch viel schneller, warum machen wir das nicht?“, Antwort: „Weil wir das schon immer so gemacht haben“ …
Und jetzt?
Wird nicht immer propagiert, dass man sich „frischen Wind“ und „neue Ideen“ ins Unternehmen holen soll? Das man „disruptiv“ und „quer“ denken soll?
Richtig! Aber bevor man das tut, sollte man dafür sorgen, dass das neue auch Raum bekommt ohne gleich „abgetötet“ zu werden. Der Punkt ist, dass das Immunsystem des Unternehmens überlistet werden muss um Veränderungen den nötigen Freiraum und die nötige Zeit zu geben. Es ist wichtig, dass verändertes Verhalten zunächst wirken kann und an Momentum gewinnt. Im Erfolgsfall schafft das Akzeptanz und eröffnet weiteren Raum für mehr Veränderungen.
Ferner ist es wichtig, an den Strukturen des Unternehmens anzusetzen, die die Verhältnisse schaffen, welche wiederum bestimmtes Verhalten begünstigen. Also nicht Menschen verändern wollen, sondern die strukturgebenden Elemente des Systems.
Wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen, wie das gehen kann, freue ich mich über Ihre Kontaktaufnahme.
Vielen Dank!
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